Fluß des Lebens (The Flow of Life)
Original text translated by Klaudia Heise in 2000.
Fluß des Lebens
Mein Name ist Mike. Alle meine Freunde nennen mich Mike. In meinem Paß steht Mike. Meine Sekretärin nennt mich Mike. Meine Großmutter nennt mich Mike. Ich bin kein Exot. Und so mag ich es. Schlicht und einfach. Außerdem, exotisch hier, ist woanders normal. Es gibt keine Exoten. Jeder ist Mike.
Ich hasse meinen Beruf. Er ist wichtig, aber er ist auch langweilig. Sehr viel Routine, sehr monoton. Ich bin ein Inspektor für das städtische Abwassersystem. Ich sorge dafür, daß die ganze Scheiße reibungslos abfließt. Nicht sehr glamourös. Aber irgend jemand muß es tun. Die meisten Menschen machen sich niemals Gedanken über den Verbleib ihrer Absonderungen. Sie betätigen nur die Spülung. Dann gehen sie hin und kaufen mehr Gourmethappen.
Während der Arbeit trage ich einen Anzug. Ich muß. Vorschrift. Du mußt würdevoll aussehen in einer führenden Position. Immer wenn ich jemandem erzähle, womit ich meinen Lebensunterhalt verdiene, werde ich für eine Niete gehalten. Eine Niete im Anzug. Viele Nieten fühlen sich wohl im Anzug. Ich schwitze und fühle mich eingeengt. Ich brauche diesen Mist nicht.
Frauen sind von meinem Beruf ebensowenig beeindruckt. Ich mache mir Sorgen, weil ich ein Single bin. Frauen defäkieren fast die gleiche Menge wie Männer. Ungefähr 85% wenn sie in den Statistiken nachlesen. Sie wollen alle schöne Häuser. Wenn ich nicht wäre, würden ihre schönen Häuser in Fäkalien schwimmen. Ich sorge für eine schöne und saubere Umgebung.
Ich bin kein großer Hit auf Parties.
Ich habe einen Freund namens Hans. Hans ist voller Scheiße. Über Kunst spricht er mit großer Leidenschaft. Hans versteht einen Dreck von Kunst. Er spricht mit einem Akzent. Die Frauen verschlingen ihn. Hans ist ein großer Hit auf Parties.
Da war ein Mädchen, das ich wirklich mochte. Sie mochte Hans. Sie sagte, er würde sich dem was er glaubte wirklich hingeben. Sie bemerkte nicht, daß Hans voller Scheiße war. Sie war geblendet von seinem Haarschnitt und seiner Aufrichtigkeit. Er hat einen Künstlerhaarschnitt. Er hat ein Spatzenhirn. Er ist wirklich aufrichtig. Er ist von seinem eigenen Haarschnitt beeindruckt.
Ihr Name ist Helen. Natürlich ist sie schön. Ich mache nicht mit jeder rum. Hans schon. Ständig. Ich ertrage die Niederlage mit Fassung. Ich hasse Hans zutiefst. Er ist mein Freund.
Helen lacht über meine Witze. Ich habe einen verdrehten Sinn für Humor. Hans sagt, ich rede viel Mist. Ich mache mich über Hans lustig. Er denkt, er steht über mir, weil er ein Künstler ist und ich nur eine Person von begrenztem kreativen Genius.
Sein Darminhalt ist selten von normaler Konsistenz. Er beschwert sich darüber bei mir. Er erzählt mir auch von seinen Affären mit Frauen. Ich habe einige saftige Einzelheiten über Helen gehört. Erfahrungen aus erster Hand hätte ich bevorzugt.
Ich traf Helen zuerst. Es war eine wirklich steife Party. Jeder für sich eine Fassade. Helen lachte. Ihre Augen strahlten. Ich schaute sie an, sie schaute mich an. Ich schaute sie wieder an, sie schaute jemand anderen an. Ich war nicht abgeschreckt. Ich ging auf sie zu. Sie drehte sich um und sah mir gerade in die Augen. „Hi“, sagte ich. Ich legte los. „Ihre Augen , ihre Lippen etc.“ sagte ich. Ihre Oberlippe sich zu einem gerissenen Lächeln. Herrliche Zähne. „Machen sie mir Komplimente?“ „Ich bete sie an.“ “Das geht ein bißchen zu weit.“ Sparring ! Abwehr prüfen. Kleine Sticheleien. “Zeigen sie mir ein Mädchen hier, daß halb so attraktiv ist wie sie.“ “Was ist mit der Blonden im roten Kleid?“ “Sie haben Recht, sie ist unglaublich.“ Sie lachte. Überrascht. “Es hätte sich an ihrer Stelle gehört zu sagen “Sie ist nicht halb so hübsch wie sie.“ “Ich bin ein ehrlicher Mann.“ “Aha, was ist mit der da drüben in Schwarz?“ Ich fokussierte auf überwältigende Verlockung am Eingang. „Mein Gott, ich hatte sie noch nicht bemerkt.“ Wiederholung des Gelächters bei der Göttin. Annäherung des parasitären Wiesels. „Helen darf ich vorstellen, das ist Hans.“ „Hallo, etc.“ „Etc.“ „Ich bin Kunst“ “Oh, ich verehre die Kunst.“ Mehr oder weniger. Keine Witzeleien mehr. Nur ernsthaftes Stirnrunzeln und seriöse Äußerungen. Hans hechtete kopfüber in die Tiefen ihrer Seele um sie zu entzücken. Usw.
35 Sekunden Konversation mit der Blonden im roten Kleid. Der Penis stand schnell, während sich das Kleinhirn verabschiedete.
Ich erfuhr die Freuden des alkoholischen Komas in der Küche. Der Versuch, Eiswürfel aus der Form zu lösen erzeugte folgendes Gespräch: „Hast du vielleicht einen Gasbrenner in deiner Hosentasche?“ „Nein, aber wir können den Herd einschalten.“ „Ja, für 25 Minuten bei 200 Grad backen“ „Oh, jetzt klappt´s“ „Übrigens, mein Name ist Jennifer“ “Mein Name ist Mike. Zu deinen Diensten. Ein Würfel oder zwei?“ “Zwei bitte. Also, was machst du so, Mike?“ „ Ich bin ein typischer Yuppie. Ich verarbeite Exkremente.“ “Und in welcher Art der Rechtsprechung praktizierst du?“ „Gute Erwiederung. Eigentlich manage ich das Abwassersystem.“ “Oh, wie wunderbar!“
Diese unübliche Antwort verdiente ein Dinner für zwei am nächsten Abend. Typisch schickes Restaurant der 80er. Viel Atmosphäre, kleine Portionen. Kunstvolle Speisekarte. Scheiße auf dem Teller. Genug einen kleinen Hund zu sättigen. Zu Akita Preisen. Nach einer Prüfung unserer Person wurden wir vom steifen Türsteher für würdig befunden sein feines Etablissement zu betreten. Ich persönlich bin immer platt, wenn ich als menschliches Wesen erkannt werde. Keine Jeans. Nicht barfuß. Keine Hunde: Die mahlenden Zähne um uns herum gehörten zu Ex-Hippies, die ihre Jeans gegen Nadelstreifen Anzüge eingetauscht hatten. Oder zu Kindern, die von der Vorschule direkt an die Wallstreet gegangen waren, und Hippies für dumme Freaks hielten.
Jennifer ist die Größte, obwohl ihr Name 3 Silben hat. Sie ist mein Kumpel. Es gibt keine Verpflichtung mit jedem zu schlafen. Dem werden sogar die meisten Baptisten zustimmen. Wenn sie schön gewesen wäre, hätte ich mich möglicherweise in sie verliebt. Zu schade. Ich liebe Helen. Das sagte ich zu Jennifer. Vielleicht ist sie ein wenig eifersüchtig, aber sie zeigt es nicht. Jennifer praktiziert als Anwalt für Verbraucherschutz. Eines Tages rief sie mich in meinem Büro an. Das Sonnenlicht flutete durch die Fenstervorhänge und blendete meine Augen, als es vom Uhrglas reflektiert wurde. Diese Beschreibung ist überflüssig. Ich maße mir künstlerische Darbietungen an. Jennifer hatte einen Tip für mich. Thump Immobilien beabsichtigte einen gerissenen Schachzug. 2000 teure Wohneinheiten. 3500 Yuppies auf frischer Halde. Yuppies produzieren täglich durchschnittlich 1 Pfund netto Exkremente pro Kopf. Das macht zusammen 3500 Pfund pro Tag. Fast 800 Tonnen pro Jahr. Thump konnte keine adäquate Entsorgung vorzeigen für die 800 Tonnen pro Jahr. Thump war im Besitz sämtlicher ordnungsgemäßer Formulare. Alle Formulare trugen Unterschriften. Eine ordnungsgemäße Unterschrift ließ meinen Magen zusammenkrampfen. Nervös griff ich nach einer Zigarette. Ich erinnerte mich: Ich rauchte nicht. Ich setzte mich. Alles bis dahin Reine war jetzt besudelt. Helens Unterschrift garantierte Thumps Glaubwürdigkeit vor Stadt, Staat und bundesstaatlichen Vorschriften.
Ich wählte Thump an, und fragte nach Helen. Sie meldete sich lachend. Ich hörte Hans dummen ausländischen Akzent im Hintergrund. „Weißt du wie 800 Tonnen Scheiße riechen?“ „Oh, Mike bist du das? Wie geht es dir? Hans ist hier. Wir gehen zu Ramon`s Café zum Mittagessen. Kommst du mit?“ „Ich beseitige Scheiße, ich esse sie nicht.“ „Ach komm! Man sagt es ist ein gutes Restaurant.“ „Bedeuten 800 Tonnen Fäkalien pro Jahr irgend etwas für dich?“ „Ja, es bedeutet, du bist abstoßend.“ „Sehr abstoßend, aber zumindest kümmere ich mich um die Sache.“ „Welche Sache?“ „Das Problem der 3500 Yuppie Mastdarmen in Thump Towers.“ „Mike verdammt nochmal, wovon sprichst du?“ „Ich wußte nicht, daß du für Thump arbeitest.“ „Ja, jetzt weißt du es. Also, was soll das Ganze? Ich fange an mich zu ärgern.“ „Deine Unterschrift ist auf einem Formular in meinem Büro. Formular B 19801.“ Lange Pause. Mein Magen verkrampfte sich noch mehr. Ich war grausam zu der einen, die ich liebte. Ich hatte keine Wahl. Das Leben ist ein geschlossenes System. Das System muß gemanagt werden. Die Verarbeitung von Fäkalien ist ein integraler Teil jedes sozio-ökonomischen Systems und es ist meine geheiligte Aufgabe zuzusehen, daß das ordentlich geschieht. Während unschuldige Männer, Frauen und Kinder nachts friedlich in ihren Betten schlafen, bewacht Mike ihre Kloaken.
„Also, was ist mit diesem Formular B wie auch immer?“ Leichter Anflug von Sorge in ihrer musikalischen Stimme. „Bestätigung der ordnungsgemäßen Abwasserbeseitigung.“ Der Ton meiner Stimme war eben, flach und emotionslos. Mein Herz hüpfte vom Zwerchfell bis in die Speiseröhre. Ernste Übertretung. Hohe Strafgelder, mögliche Verurteilung. „So? Ja und, was soll damit sein?“ „Wir vom Ministerium für Beißende Aromata haben Grund zu glauben, das dieses Formular nicht in Ordnung ist.“ „Mike, du machst wohl Witze.“ „Das ist kein Witz.“ „Ja also, ich bin sicher, alles ist in Ordnung. Es ist nur ein Formular, das jeder zu unterschreiben hat. Ein paar Wohneinheiten mehr werden keinen Unterschied machen.“ „Das Städtische Abwassersystem arbeitet schon jetzt über seine Kapazitäten hinaus. Die Rattenpopulation ist am ansteigen. Möchtest du sehen, wie der schwarze Tod die Rate der leerstehenden Häuser um mehr als 2% erhöht? Überlege welche Auswirkungen das auf Thumps Profite hätte!“ „Oh Mike, um Himmels Willen! Was Hans? Mike wirft mir vor die Pest zu verursachen.“ Kurze Pause, als Helen ihre Zeit damit verschwendet dem Gebrabbel von Hans zuzuhören. „Hans sagt, du sollst dich entspannen und zum Museum hinüberschlendern und dir die Monet Ausstellung ansehen.“ „Hans lebt in einer Monet Ausstellung. Außerdem,da war möglicherweise Gülle unter den Lilienblättern.“ „Mike, glaubst du nicht, du nimmst dich ein wenig zu wichtig?“ „Das war genau die verantwortungsbewußte, gesellschaftsorientierte Antwort, auf die ich gehofft hatte. Ich glaube nicht, daß du der Schwere deines Vergehens und der darauf erhobenen Strafen bewußt bist. Nichtsdestotrotz habe ich als ein Freund angerufen um dich zu warnen, daß einer unserer Inspektoren diesen Fall untersuchen wird. Du hast 2 oder 3 Wochen um die Dinge geradezubiegen.“ „Danke für die Warnung.“ Sie zischte gereizt durch das, was möglicherweise zusammengebissene Zähne waren.
Ich legte auf. Helen ging los, um mit dem Herrn Künstler ihre Eingeweide aufzufüllen. Möglicherweise verdienen sie einander. Mittelmäßige Nahrung in einem anspruchsvollen Restaurant, über Kunst sprechen und sich einen Dreck darum scheren, was mit ihren Darminhalten passiert. Helens spielerisches Lächeln peinigte mich immer noch. Ich begutachtete mein Butterbrot. Mein Magen kniff, mein Mund war so trocken wie Asche.Ich öffnete eine Akte. Ich starrte aus dem Fenster. Die Abwasserkanäle waren alleine unter sich an diesem Nachmittag.
Am Abend kam Hans vorbei. Warum ich die arme Helen belästigen würde etc.
Nur ein Formular. Bedeutungsloser Rotstrich, Glorreiches Individuum versus Papier stapelnden unnützen Bürokraten. Nebenbei, könnte ich ihm möglicherweise 50 Dollar leihen? Ein paar Drinks mit Helen und Schreibpapier.
Hans schreibt diese Dissertation. Kunstgeschichte. Universität der untersten Liga. Ein Dissertationsthema muß original sein, um akademischen Wert zu haben. Nach Generationen von Doktoranden sind die begeisternden Themen längst aufgebraucht. Folglich beginnt die Untersuchung des Obskuren. Standards der akademischen Qualität müssen zufriedenstellend sein. Hans hat 130 Seiten über die Komposition eines soliden himmelblauen Ölgemäldes geschrieben.
Hans` Doktorvater ist sehr enthusiastisch, er ist sehr produktiv. Jeder junge Künstler ist aufgefordert seine eigene Doktorarbeit zu lesen. 5 mal im Jahr ändert er ein Komma und republiziert. Eines Tages vielleicht erhält er einen Lehrstuhl und er muß sich nicht mehr produzieren.
Der Doktorvater ist Italiener. Hans liebt Italien. Er sagt, es hat mehr Seele und mehr Kultur. Deutschland ist sauber wie geleckt. Deutsche sind total „frustratti“ Italien hat mehr Müll auf den Straßen. Es ist seelenvoller den Müll auf die Straße zu schmeißen, als ihn sauber zu entsorgen.
Hans nahm die 50 Dollar und bot mir an, mir einen Drink zu kaufen. Er wollte Helen in 15 Minuten treffen. Wir gingen zu Leahys Taverne. Ein netter Ort. Wir bestellten 2 braune Ale. Selbst vom Besitzer gegenüber gebrannt. Wir standen beim Kaminfeuer und schlürften unser Bier.
Hinter uns öffnete sich die Tür. Der kalte feuchte Wind blies auf meinen Nacken. Der Mann neben uns sah auf und starrte. Ich wußte, Helen war hereingekommen. Dann traf ihr Parfüm auf meine Nasenschleimhäute. Mein Herz hämmerte gegen meine Rippen. Ich drehte mich um, meine Augen von ihrem Erstrahlen schützend.
„Ja wenn das nicht der Beamte aus dem öffentlichen Dienst ist!“
„Zu ihren Diensten Mme.“
Halber Bückling. Spöttische Galanterie. Ein Hohnlächeln verschönte ihr liebliches Gesicht. Als ob ich eines dieser Objekte sei, die sie so unbarmherzig abspülte. Nicht unbedingt eine freudige Wiedervereinigung von alten Freunden. Ich fühlte mich lächerlich, weil ich gekommen war. Ich hätte der Versuchung sie wiederzusehen wiederstehen müssen. Ich leerte mein Bier und ging.
Um eine Kurzgeschichte noch kürzer zu machen, Werde ich genau hier aufhören. Ich sah Helen nie mehr wieder. Nur in einem Traum. Hans doch. Er sah sie noch für weitere 2 Wochen.
Ich bin in einer lausigen Stimmung. Ich mag nicht mehr schreiben. Ich bin sicher, das verstehen sie. Zur Hölle mit ihnen, wenn sie es nicht tun. Übrigens Thump entsprach den bundesstaatlichen, staatlichen und städtischen Vorschriften. Man muß ein Auge auf Geschäftsmänner haben. Jeder möchte viel Geld verdienen. Niemand möchte Verantwortung übernehmen.
Mein Name ist Mike.